Laudatio 2015 Bester deutschsprachiger Roman

»Alpha & Omega — Apokalypse für Anfänger« von Markus Orths
Schöffling, ISBN-13 978-3-89561-473-6

Im Jahre 2021 rettete Omega, die erste Frau mit drei Gehirndritteln, die Welt vor dem sicheren Untergang. Das gehört zum Allgemeinwissen der Quadrupelhirnmenschen im 26. Jahrhundert. Doch gewisse Details aus dem Leben Omegas, insbesondere die genauen Umstände ihrer Geburt, sind nach wie vor unbekannt. Um Licht in das Dunkel dieser wichtigen Epoche zu bringen, unternimmt im Jahre 2525 ein Mensch namens Elias Zimmermann eine Reise in die Vergangenheit. Der Haken an der Sache: Nur sein Geist kann die Zeitreise antreten. Und: Er kann nur beobachten, nicht aber aktiv in das Geschehen eingreifen. Auch mit vier Hirnvierteln übersteht man solch eine Isolationsfolter über Jahrzehnte hinweg selten ohne psychische Schäden. Vor allem, wenn man in dieser Zeit mit »Germany’s Next Top Model«, aggressiver Seelenwanderung, einem Flugzeugabsturz und einem schwarzen Loch in der Wüste von Nevada konfrontiert wird.

Markus Orths Roman »Alpha & Omega« besticht durch seine Figuren. Neben der bereits erwähnten telekinetisch begabten Omega treten auf: ihre Pflegeeltern, der Müllmann Kolja und die Esoterikerin Birte, ihr computeraffiner Bruder Alpha, ein schneeweißer Hund namens Escher, der innen so hohl ist wie der griechische Buchstabe Omega, ein abgehalfterter Zauberer und Spiele-Erfinder namens Gusto, ein schwuler buddhistischer Mönch, eine nymphomane Teilchenphysikerin und noch viele andere skurrile Gestalten. Jede Person wird von höchst individuellen Macken geplagt, aber man muss sie alle irgendwie gern haben.

Markus Orths »Alpha & Omega« verwöhnt den Leser mit einer barocken Fülle von Ideen und Details. So findet die Erlöserin Omega zunächst keine andere Anwendung für ihre telekinetische Gabe als mithilfe ihres schwebenden Laufstils die Show »Germany’s Next Top Model« und aufgrund ihrer Ballkontrolle das Tennisturnier von Wimbledon zu gewinnen. Nebenbei verhilft sie dem Magier Gusto zu einigen weltbewegenden Kunststücken. Das nicht vorhandene Innenleben Eschers entpuppt sich als ein Phänomen aus der Allgemeinen Relativitätstheorie, und eine geistige Penetration bereitet eine physische Intrusion vor. Vielen anderen Autoren hätten diese Ideen für mehrere Trilogien gereicht.

»Alpha & Omega« raubt dem Leser mit seinem Tempo den Atem. Es beginnt mit Überlichtgeschwindigkeit und steigert sich langsam bis zur Singularität. Der komplexen Struktur und des überbordenden Detailreichtums zum Trotz behält Orths stets alle Fäden seines Plots souverän bis zum unausweichlichen Ende in der Hand. So abgedreht und schräg das Buch auch daherkommt; das ganze Geschehen ist in sich stimmig, wenngleich auf merkwürdige Art.

Orths würzt »Alpha & Omega« mit einem Humor, dessen Vielseitigkeit beeindruckt. Vom Kalauer über Schenkelklopfer und Situationskomik bis zur versteckten ironischen Anspielung auf Filme, Kunstwerke und Medienauswüchse ist alles vertreten. Dabei entwickelt sich der Orthssche Humor stets natürlich aus der Handlung und der Interaktion der Figuren heraus – seine Witze wirken nie aufgesetzt.

»Alpha & Omega« überzeugt nicht zuletzt durch seine Sprache. Orths’ Repertoire variiert von lakonischen Einwortsätzen bis zu mehrschichtigen Satzgefügen. Der Autor beherrscht die deutsche Sprache nicht nur meisterhaft; er hat auch Spaß damit zu spielen und lässt den Leser gern an seinem Spaß teilhaben.

Eins sei verraten: Elias Zimmermann erfüllt seine Mission nur teilweise. Die leiblichen Eltern Omegas bleiben weiterhin unbekannt, und die Rettung der Welt verlief nicht ansatzweise so heroisch, wie es den Quadrupelhirnen überliefert wurde – dafür aber wesentlich unterhaltsamer.

Wer jetzt immer noch keine Lust bekommen hat, sich dieser schrägen, anspruchsvollen, aber stets vergnüglichen Reizüberflutung auszusetzen, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Wir wissen nicht, wie viele Gehirnteile in Markus Orths’ Schädel Platz finden. Die Mitglieder des Komitees für den Deutschen Science-Fiction-Preis verfügen jeweils nur über zwei Gehirnhälften. Trotzdem hat uns »Alpha & Omega« restlos überzeugt.

Der Deutsche Science-Fiction-Preis 2015 in der Kategorie Bester deutschsprachiger Roman geht an »Alpha & Omega — Apokalypse für Anfänger« von Markus Orths.

Dr. Ralf Bodemann
– für das Preiskomitee –
im Juni 2015