»Qualityland« von Marc-Uwe Kling
Ullstein-Verlag, ISBN-13 978-3-550-05015-2 (dunkle Ausgabe), ISBN-13 978-3-550-05023-7 (helle Ausgabe)
Deutschland braucht eine neue Country Identity. Eine Unternehmensberatung schlägt den demokratischen Namen »Equalityland« vor, der durch Einsparung des ersten Buchstabens zum hochwertigen »Qualityland« verkürzt wird. Aber das bleibt nicht die einzige Neuerung. Jede Frau erhält als Familiennamen den Beruf ihrer Mutter zur Zeit ihrer Geburt, jeder Mann den seines Vaters. So tragen die Einwohner Qualitylands Namen wie Amy Kundenbetreuerin, Erik Fliesenleger, Sandra Admin oder Melissa Sexarbeiterin. Jedem Menschen wird entsprechend seiner Systemkonformität ein Level zwischen 0 und 100 zugeordnet, was mit entsprechenden Privilegien oder Sanktionen verbunden ist. Selbstverständlich darf man in Qualityland, dem besten aller möglichen Länder, nur im Superlativ sprechen. Es regiert die Größte Koalition. Die Regierungspartei schickt als Kanzlerkandidaten JohnOfUs, einen Androiden mit künstlicher Intelligenz, ins Rennen.
Die tatsächliche Macht liegt aber bei einer Handvoll Monopolkonzerne, die durch Totalüberwachung genau wissen, welche Produkte jeder Bürger genau jetzt braucht. Und genau die bekommt er ungefragt von einer Drohne frei Haus geliefert, die den Empfänger gleich um ein Feedback bittet. Vor dem Sexualkontakt kommt der Sexualkontrakt, der die Rechte und Pflichten der beiden Sexualpartner in spe regelt. Die meisten Dialogboxen, denen man bei solchen Alltagsverträgen begegnet, halten nur eine Antwortmöglichkeit bereit: »Okay.«
Wir verfolgen den Niedergang von Peter Arbeitsloser. Nachdem er auf ein einstelliges Level abgesackt ist, verliert er nicht nur seine Freundin. Mangels anderer Sozialkontakte hängt er in seiner Schrottpresse mit einigen Elektrogeräten ab, die er vor der Vernichtung bewahrt hat.
Eines Tages erhält Peter Arbeitsloser von TheShop, dem weltweit beliebtesten Versandhändler, einen rosafarbenen Delphinvibrator zugeschickt. Als Peter versucht, das unerwünschte Produkt zurückzugeben, trifft er auf unerwarteten Widerstand. TheShop kann es sich nicht leisten, zuzugeben, dass seine Algorithmen nicht unfehlbar sind. Durch seine beharrlichen Versuche, das Spielzeug loszuwerden, gerät Peter in den Wahrnehmungshorizont von Systemrebellen wie der Hackerin Kiki oder des Alten, einem geheimnisvollen Computergenie.
»Qualityland« ist ein ausgesprochen witziges Buch. Doch bisweilen bleibt dem Leser das Lachen im Halse stecken. Denn die Near-Future-Vision ist erschreckend glaubhaft ausgearbeitet, wobei Kling eigentlich nur bestehende Trends weiterdenkt. Bewertung der Systemkonformität von Menschen mit entsprechenden Sanktionen – gibt’s schon in gewissen Regionen Chinas. Newsblasen, die nur das bereitstellen, was die Vorurteile eines Menschen bestätigt – ein Blick in die eigenen Youtube-Empfehlungen genügt. Monopolkonzerne im Netz – siehe Amazon, Facebook, Google. Demokratie wird zunehmend reduziert auf Dialogboxen, auf die es nur eine Antwort gibt: Okay.
Marc-Uwe Kling schildert seine schöne, neue Qualityland-Welt auf kluge und hellsichtige Wiese. Das Buch ist dabei äußerst böse und sarkastisch. Kling warnt mit seiner Geschichte vor so mancher sich abzeichnenden oder bereits längst realen Entwicklung. Damit rückt »Qualityland« in die Nähe einer Dystopie.
Eine besondere Würze sind die Werbeeinblendungen und Kurznachrichten mit den unvermeidlichen Kommentaren von Intellektuellen, Esoterikern und rechten Verschwörungstheoretikern. Hier gelingt es Kling, an der Grenze des guten Humors zu kratzen, sie aber nicht zu überschreiten. Zudem beweist er mit zahlreichen Anspielungen, Zitaten und Verweisen, dass er sich im Bereich der Science-Fiction exzellent auskennt.
Auch wenn sich der Kampf der Rebellen manchmal wie das Gefecht Don Quichottes mit den Windmühlenflügeln ausnimmt – »Qualityland« entwickelt doch noch so etwas wie Hoffnung. Den Stein des Anstoßes bildet nicht etwa eine rigide Unterdrückungsmaßnahme, sondern der bereits erwähnte pinkfarbene Delphinvibrator, in dem sich die Absurdität der nur auf Konsum und Status in den sozialen Medien aufbauenden Gesellschaft manifestiert. Je irrwitziger die Handlung sich entwickelt, desto mehr stellt man fest, dass Qualityland näher ist, als man zunächst glaubt. Am Ende haben wir vielleicht alle schon »Peters Problem«.
Auf die Frage, ob der Deutsche Science-Fiction-Preis für den »Besten Roman« an »Qualityland« von Marc-Uwe Kling verliehen werden soll, gab es für das Preiskomitee nur eine Antwort: Okay.
Dr. Ralf Bodemann
– für das Preiskomitee –
im September 2018