Laudatio 2005 Bester deutschsprachiger Roman

Laudatio auf »Der Schwarm« von Frank Schätzing

Die Welt gerät aus den Fugen – nicht nur in den Köpfen einiger Wissenschaftler, die mit seltsamen Naturphänomenen konfrontiert werden, sondern letzten Endes im Kopf jedes Erdenbewohners. Aber der Autor beläßt es nicht dabei, ein Weltbild zu zertrümmern, er zieht seinen Protagonisten im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weg, und auch der Leser fühlt sich bisweilen im Geiste auf eine Achterbahn versetzt.

Nun leben wir wahrlich nicht in katastrophenarmen Zeiten – natur- wie hausgemachten. Mit immer besseren Sonden finden wir heraus, was die Welt und das Weltall im Innersten zusammenhält. Nach einer Katastrophe erkennen wir so immer besser, warum es manchmal doch nicht funktioniert. Und doch gibt es auf unserem Heimatplaneten Regionen, über die wir selbst nach Jahrhunderten des Forschens und Erkundens weniger wissen als über unsere Nachbarplaneten oder das das Zentrum unserer Galaxis.

Ausreichend Raum also für Spekulationen und Gedankenspiele, und trotz der mehr als tausend Romanseiten platzt die Handlung fast aus den Nähten. Eine Schar von Forschern, Politikern und Militärs versucht gemeinsam, bisweilen auch gegeneinander, die Ursachen für Attacken der Tierwelt gegen zunächst einzelne Menschen zu ergründen, und was mit einem unscheinbaren Borstenwurm beginnt, weitet sich zur Konfrontation mit einem Lebewesen aus, das zwar seit Jahrmillionen mit uns einen Planeten teilt, aber in einer anderen Welt lebt und vor allem denkt.

Frank Schätzing hat eine Menge Zeit und Recherche in dieses Buch investiert, wer aber einen reinen Wissenschaftsroman erwartet hat, wird angenehm enttäuscht. Die handelnden und bisweilen arg gebeutelten Personen wachsen dem Leser durch ihre gekonnte Charakterisierung im Laufe der Handlung ans Herz, selbst Protagonisten mit negativen Zügen gewinnt man Respekt ab und versteht ihre Motivationen. Wem an den wissenschaftlichen Aspekten nicht viel gelegen ist, der bekommt einen Thriller geboten, der ihn von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, wer das Buch aber als Science Fiction liest, weiß anschließend ein gutes Stück mehr über Meeresbiologie, Tiefseeforschung, Chemie und Geologie, aber auch über ein Wesen, das diesen Planeten seit geraumer Zeit zu beherrschen glaubt – uns selbst.

Dem Autor ist es in hervorragender Weise gelungen, einen Roman zu verfassen, in dem wissenschaftliche Erkenntnisse durch glaubwürdige Charaktere vermittelt werden, eingebettet in eine spannende, in sich schlüssige Handlung. Aus diesen Gründen zeichnet das Komitee dieses Werk mit dem Deutschen Science Fiction Preis 2005 für den besten Roman des vergangenen Jahres aus.

Thomas Recktenwald – für das Preiskomitee, Mai 2005