Laudatio 1987 Bester deutschsprachiger Roman

Zwei Laudationes:

Claus-Peter Lieckfeld/Frank Wittchow:
427 – Im Land der grünen Inseln

Aus dem Zwischenwort der Autoren:
„Dieses Buch ist der Versuch, das grundsätzlich Bekannte, das Absehbare, das Sehr-wohl-Mögliche noch einmal anders zu sagen. Schon deshalb, weil sich in der Sprache der Statistiker Hoffnung verbietet, in einem Roman nicht.“

Claus-Peter Lieckfeld und Frank Wittchow beschreiben bundesdeutsche Wirklichkeit im Jahr 2009. Umweltverschmutzung, Computer- und Biotechnik machen den Menschen zu schaffen. So gibt es zahlreiche Totalallergiker, die nur in einer keimfreien Umgebung, abgeschlossen von der Umwelt, überleben können; die Zahl der Computerautisten, die nur noch mit Computersystemen, aber nicht mehr mit anderen Menschen kommunizieren können, wächst; und die Biowissenschaftler bieten eine Lösung für alle Schlankheitsprobleme – zum Preis einer extrem verringerten Lebenserwartung und eines qualvollen Erstickungstodes, wie sich herausstellt.

Vor diesem Hintergrund sucht eine deutsch-türkische Journalistin nach einem genialen Computer-Hacker, der verschwunden ist. Die Botschaft, die dieser Hacker verschlüsselt hinterlassen hat, „427“, führt die Journalistin schließlich in die „Freie Republik Kraichgau“, wo sich alternative und umweltbewußte Gruppierungen um bessere Lebensbedingungen in einer anderen Gesellschaftsordnung bemühen.
„427“ ist ein Buch, das alle angeht. Denn Lieckfeld und Wittchow beschreiben nicht die Welt des nächsten Jahrtausends, noch nicht einmal die Welt von morgen; sie beschreiben, was uns in den nächsten zehn Minuten passieren kann. Dabei wird kein Thema ausgelassen. Alle Entwicklungen, die die Autoren ansprechen, gibt es bereits (z.B. ist schon heute bei uns jeder vierte gegen irgendetwas allergisch).

Die Autoren, die über ein profundes Wissen verfügen, haben ihrem Roman als Beleg einen ausführlichen Anhang mitgegeben, der die zweite Hälfte des Buches ausmacht. In ihm sind die im Roman dargestellten Probleme journalistisch aufgearbeitet.

„427“ ist als Spannungsroman angelegt; die Sprache ist einfach. Lieckfeld und Wittchow gelingt es in ihrem Erstling nicht immer, sprachliche und handwerkliche Probleme souverän zu meistern. Die Vielzahl der Themen läßt ihnen im Rahmen eines 200-Seiten-Romans auch nicht viel Spielraum; einige Figuren und die Konstruktion der „Freien Republik Kraichgau“ sind ein wenig zu einfach gestaltet.

Dennoch ist „427“ preiswürdig. Der Roman weist eindringlich auf unser Heute und auf unser voraussehbares Morgen hin; er verwirklicht ein ernstes Anliegen der Science Fiction: verhängnisvolle Entwicklungen zu benennen und vor deren Folgen zu warnen. Darüber hinaus ist er spannend und annehmbar geschrieben.

Willmar Plewka
– für das Literaturpreiskomitee –

Friedrich Scholz:
Nach dem Ende

„Nach dem Ende“ ist das sehr breit angelegte Erstlingswerk des Hörspielautors Friedrich Scholz.

Erzählt wird eine Post Doomsday-Geschichte. Deutschland ist nur noch dünn besiedelt und befindet sich kulturell und technisch in etwa auf der Stufe des Mittelalters. Es gibt Nomaden und Seßhafte, die in den Ruinen der ehemaligen Städte leben und Handel treiben. Daneben gibt es die „Super“, wenige Clans, die sich die moderne Technik bewahrt haben und die übrigen beherrschen.

Der Roman zeichnet nun die Geschichte eines Mannes aus dem „Rhein-Main-Beton“ auf, eines einfachen Mannes, der durch eine zufällige Begegnung mit einem Super zu Macht und Einfluß gelangt.

Sehr genau kann man den Aufstieg eines Politiker-Typs verfolgen, der, auch wenn er weder die Technik noch seine neue Umgebung so recht begreifen kann, sofort anfängt, Ränke zu schmieden und Spielchen zu seinem Vorteil zu treiben, egal auf wessen Kosten sie gehen.

Dieser Plot ist ja nicht gerade neu, aber die Art und Weise, wie der Autor das Thema anpackt – er macht einen Schelmenroman mit einem Ich-Erzähler daraus – und was er zu sagen hat, machen das Buch so interessant.

Der Autor verwendet eine geschliffene, einfühlsame Sprache, einen sauberen, aufwendigen, aber gut lesbaren Stil und macht viele Wortspielereien, die das sorgfältige Lesen zu einem Vergnügen werden lassen. Der Roman sprüht förmlich vor guten und witzigen Einfällen, die en passant angebracht werden, ohne sie totzureiten. Viele entdeckt man erst beim zweiten Lesen. Dazu ist das Buch nicht nur gut lesbar, sondern auch spannend geschrieben.

Es beschränkt sich nicht auf Witz und Action, sondern bezieht seine Aussage geschickt in die Handlung ein.

Jürgen Marzi
– für das Literaturpreiskomitee –