Laudatio 2019 Beste deutschsprachige Kurzgeschichte

»Confinement« von Thorsten Küper,
in: herausgegeben von Michael Haitel und Michael K. Iwoleit, p.machinery, ISBN-13 978-3-95765-136-5

In einer Livesendung vom orbitalen Forschungsmodul CFMT74 wendet sich Jensen Readon als einziger Überlebender der fünfköpfigen Wissenschaftlerbesatzung an die Weltöffentlichkeit. Sie führen Grundlagenforschung im Bereich Nanoroboter für einen weltbekannten Konzern durch. Dabei finden die eigentlichen Versuche im separaten Modul FCMT75 statt, um eine Kontamination des Wohnmoduls zu verhindern. Doch dann entdeckt einer der Wissenschaftler zufällig, dass seine Arterien im Dunklen bläulich leuchten und seine Körpertemperatur steigt…

Thorsten Küper legt hier einen Thriller im Kurzformat vor, der mit dem stilistischen Kniff beginnt, die Existenz einer Katastrophe vorwegzunehmen, um die damit erzeugte Spannung durch den nunmehr chronologisch erzählten Missionsbericht zu halten. Dies unterstützt der Autor durch die Charakterentwicklung seiner Protagonisten, die sich so gar nicht als die Speerspitze der Grundlagenforschung entpuppen, die man in einer solchen Situation erwarten würde. Dadurch wiederum lenkt die Geschichte ihre Leser geschickt zur logischen Folgerung bezüglich der tatsächlichen Rolle der Modulbesatzung und kommt damit der Auflösung einen Schritt näher.

Der klaustrophobische Handlungsort Weltraummodul lässt den Protagonisten keinen Ausweg – ringsherum ist Vakuum, und bis zur Erde ist es weit. Die schweigende Bodenstation erhöht die Spannung weiter, erlaubt aber auch die Vermutung, dass die Ereignisse nicht wirklich unerwartet kommen. Die langsam abnehmende Modulbesatzung und mit ihr die Leser werden weiter durch eine Tour-de-Force gejagt, bis sich schließlich klärt, welche Entwicklung sich tatsächlich abgespielt hat. Nachdem der letzte Überlebende dies verstanden hat, gelingt es ihm, zunächst sein Leben zu retten und dann weitergehende, seine Zukunft sichernde Maßnahmen zu ergreifen.

In der zwischenmenschlichen Kommunikation läuft ein Großteil der Informationsübermittlung unbewusst ab über Körpersprache und kulturelle Prägung, also Dinge, wie wir von Kindesbeinen an wissen und als selbstverständlich voraussetzen. Dadurch kann es zwischen verschiedenen Kulturen zu starken Missverständnissen kommen. Hier entwickelt sich aus einer gutgemeinten Intervention eine Katastrophe, da es beiden Seiten an Wissen über die anderen und einer Kommunikationsmöglichkeit gebricht. Erst durch Versuch und mehrfach tödlichen Irrtum kommen beide Seiten zu einem besseren Verständnis voneinander und können die Missverständnisse gerade noch rechtzeitig hinter sich lassen. Dabei warnt die Erzählung nicht nur vor Kommunikationsproblemen, sondern auch davor, Experimente ohne vollständige Information aller Beteiligten durchzuführen. Hätte der Konzern sich ethisch korrekt verhalten und der Besatzung die Versuchsanordnung vollständig offengelegt, hätten zumindest einige Todesfälle verhindert werden können. Damit übt der Autor Kritik an in der realen Forschung und durch reale Produkte durch übermäßige Geheimhaltung und Sparmaßnahmen immer wieder auftretende vermeidbare Risiken, Verletzungen und Todesfälle.

In »Confinement« zeigt Thorsten Küper zwei konvergierende Entwicklungen, die darin münden, einem ohnmächtig den Ereignissen ausgelieferten Antihelden zu ermöglichen, die Kontrolle über sein Leben und letztlich auch seine Zukunft zu gewinnen. Dabei arbeitet der Autor auf stilistisch sehr hohem erzählerischen und sprachlichen Niveau. Beides setzt er geschickt zur Spannungserhöhung und Lenkung der Leser ein. Am Ende findet der Schriftsteller eine Möglichkeit, den überlebenden Underdog zurückschlagen zu lassen, ohne dass er auf das Niveau seiner Gegner herabsinkt.

Aus diesen Gründen freut sich das Komitee, »Confinement« von Thorsten Küper mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2019 auszuzeichnen.

Martin Stricker
– für das Preiskomitee –
im November 2019