Laudatio 2004 Bester deutschsprachiger Roman

»Der Letzte seiner Art« von Andreas Eschbach

Duane William Fitzgerald ist »Der Letzte seiner Art«. Er ist kein Außerirdischer. Er ist auch nicht das Produkt einer natürlichen oder gentechnisch beschleunigten Evolution. Duane Fitzgerald ist ein Cyborg, ein Maschinenmensch, ein Terminator.
In einem amerikanischen Geheimprojekt wurde die körperliche Leistungsfähigkeit ausgewählter junger Marines durch Implantate optimiert. Hydraulische Kraftverstärker vervielfachen ihre Muskelkraft, ein Turboherz erhöht kurzzeitig den Blutfluß, hochverfeinerte Drogen wie Stimulanzien oder Sedativa werden auf Abruf bereit gehalten, und daneben verfügen sie noch über allerlei elektronische Bauteile. Die Energieversorgung wird von einer Nuklearbatterie im Unterbauch sichergestellt.
Duane und seine Kameraden sind Superkämpfer, deren bloßes Erscheinen Terroristen und Guerilla-Kämpfern auf dem gesamten Globus vor Schreck erstarren lassen sollte. Sie sind die Prototypen einer unbezwingbaren Armee der Zukunft.
Die Sache hatte nur einen Haken: Es zeigten sich Nebenwirkungen und Kinderkrankheiten. Einige Kameraden starben während der unzähligen Operationen. Als bei einem Cyborg ein totales Systemversagen mit fatalen Folgen auftrat, wurde das Projekt zunächst auf Sparflamme herunter gefahren und schließlich ganz eingestellt. Duane und die verbleibenden vier Cyborgs wurden in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, ohne ihre Qualitäten auch nur einmal im Ernstfall bewiesen zu haben.
So begegnet der Leser Duane in Dingle, einer Stadt mittlerer Größe irgendwo in Irland. Hier in der Stadt seiner Vorfahren verlebt er zurückgezogen und weitgehend unbemerkt seine Tage, hier pflegt er seine heimliche Liebe zu Bridget, einer Hotelmanagerin, mit der er jedoch kein einziges Wort gewechselt hat, hier liest er nach und nach die Bestände der städtischen Leihbücherei leer, deren Leiterin eine seiner besten Bekannten wird.
Er rostet so vor sich hin, die Implantate zeigen erste Ausfallerscheinungen. Aber mit Hilfe eines Holzprügels, eines simplen Werkzeugkastens und des ins Vertrauen gezogenen Dorfarztes O’Shea bekommt er diese kleinen Unpäßlichkeiten zumeist wieder in den Griff. Manchmal entdecken sie sogar Implantate, von denen wederDuane noch sein Handbuch etwas wissen.
Trost findet Duane in den Schriften des römischen Philosophen Seneca, die er zufällig auf einem Remittendenstapel entdeckte. Er vergleicht Senecas Thesen immer wieder mit seinem eigenen Leben und entdeckt viele Übereinstimmungen, aber auch manche Abweichung.
Eines Tages taucht ein Asiate auf, der sich verdächtig auffällig nach Duane erkundigt. Das anfängliche Versteckspiel nutzt nicht viel. Rechtsantwalt Itsumi spürt Duane schließlich auf und schlägt ihm einen Schadensersatzprozeß gegen die Vereinigten Staaten vor. Als Itsumi einige brisante Dokumente aus seinem Hotelzimmer holen will, wird er ermordet. Trotz Einsatz seiner Superkräfte kann Duane den Mörder nicht stellen.
In der Folge überstürzen sich die Ereignisse in der irischen Provinz. Die örtliche Polizei zeigt sich von einem Fall dieser Dimension total überfordert. Die Postpakete mit Duanes Spezialnahrung, die bislang seit Jahren zuverlässig geliefert wurden, bleiben aus. Dafür erscheinen vermehrt Fremde, die in Duanes Blickfeld ausdauernde Mobiltelefonate führen. Als Dr. O’Shea ebenfalls ermordet wird, kommt Duanes Vorgesetzter Reilly aus den USA zu einem Kontrollbesuch nach Dingle. Kurz zuvor erfährt Duane, daß die vier Cyborg-Kameraden recht plötzlich auf mehr oder weniger glaubhafte Art gestorben sind. Ist auch sein Leben in Gefahr?
In dieser Situation nimmt die IRA Kontakt zu ihm auf, die in der Republik Irland über ein weitgespanntes Netzwerk verfügt. Und sie unterbreitet ihm ein Angebot, das ihn aus seiner ausweglosen Situation zu retten scheint.

Andreas Eschbach führt einen Supermann vor, der niemals Supermann sein durfte. Einen Auserwählten, der ohne eigene Schuld bereits vor der ersten Bewährungsprobe ausrangiert wurde. Duane Fitzgeralds Bestimmung war es, im Nah- und Einzelkampf gefährliche Terroristen und Guerillakämpfer zu vernichten. Statt dessen wurde er zum alten Eisen gelegt – ein fehlentwickeltes Produkt, das keine weiteren Investitionen mehr rechtfertigt.
Seine tiefe Frustration wird noch gesteigert durch das Netz an Abhängigkeiten, aus dem er sich trotz übermenschlicher Fähigkeiten nicht befreien kann. Das fängt an mit der Spezialnahrung, auf die er angewiesen ist, seit ihm der Großteil seines Verdauungstrakts entfernt wurde. Und es hört noch lange nicht mit den geheimnisvollen Implantaten auf, von denen er nichts wußte.
Eschbach schildert die technischen Funktionen auf glaubwürdige und gut recherchierte Weise, ohne durch allzu viele Details den Erzählfluß zu stören. Auch der Einführungskurs in die Philosophie Senecas ist in gelungener Weise eingebunden. JedemRomankapitel wird ein Seneca-Zitat als Motto voran gestellt. Während die Motti am Anfang noch ironisch wirken, stimmen sie zum Ende hin auf fast beklemmende Weise mit der Handlung überein.
Eschbach präsentiert Duane als einen Zerrissenen: zerrissen zwischen implantierter Macht und äußerer Ohnmacht, zerrissen auch zwischen den USA, seine eigene Heimat, wo die vermehrt auftretenden technischen Macken angemessen versorgt werden könnten, und Irland, der Heimat seiner Vorfahren, wo er sich einen letzten Rest an Freiheit zu bewahren versucht. Dieses
Lebensgefühl beschreibt Eschbach in einer Sprache, die eindringlich ist, ohne aufdringlich zu werden.
Obwohl der Ich-Erzähler Duane die tragende Figur des Buches ist, können auch die Nebenfiguren überzeugen: der ängstliche Karrierist Reilly, die anderen Cyborgs sowie die schrulligen, aber zumeist sympathischen Bewohner Dingles, die Duane mehr als einmal mit ungeahnten Facetten überraschen. Überraschen wird manchen Leser auch das Ende des Buches, das sich aber völlig logisch aus der Geschichte ergibt.

»Der Letzte seiner Art« ist ein außergewöhnlicher Roman über einen Übermenschen, der doch nur ein kleiner Bauer im Ränkespiel der Mächtigen bleibt. Das Buch wird verdientermaßen mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2004 in der Sparte »Bester Roman« ausgezeichnet.

Dr. Ralf Bodemann
– für das Preiskomitee –
August 2004