Laudatio 2009 Beste deutschsprachige Kurzgeschichte

»Weg mit Stella Maris« von Karla Schmidt
in: Armin Rößler [Hrsg.], Heidrun Jänchen [Hrsg.], »Lotus-Effekt«
Wurdack Verlag, ISBN 3-935065-32-X

Bei einem Segelunfall vor 20 Jahren hat die junge Biologin Malin ihren Vater verloren. Ihre Mutter widmete sich seither nur einer Sache: dem Generationenraumschiff »Stella Maris«, dessen Besatzung im Rahmen einer Fernsehshow ermittelt wurde. Malin hat sich von ihrer Mutter entfremdet und weigert sich, das erfolgreiche Unternehmen ihrer Mutter zu übernehmen. Stattdessen erforscht sie schraubenzieherartig verdrehte Robben, die wiederholt an einer Insel auftauchen. Erst als ihr Onkel Pieter sie in der Nacht des Raumschiffstarts eindringlich ins Haus ihrer Mutter bittet, erfährt Malin das wahre Ziel der Weltraummission.

Die Autorin Karla Schmidt ist bislang nicht mit Science-Fiction-Werken in Erscheinung getreten, hat jedoch schon als Drehbuchautorin, Journalistin, Lektorin und Leiterin von Schreibseminaren gearbeitet. Ihre literarische Versiertheit zeigt sich bereits beim Titel. Er kann als Aufforderung zur Beseitigung des Stella-Maris-Projekts (»Weg mit Stella Maris!«), aber auch als gemeinsam zurückgelegter Lebensabschnitt (»Der Weg mit Stella Maris«) gedeutet werden. Beide Bedeutungen kommen in der Geschichte zum Tragen.

»Weg mit Stella Maris« handelt auf den ersten Blick von einem Generationskonflikt. Auf den zweiten Blick ist es eine Parallelweltgeschichte. Doch im Kosmos dieser Story ist nichts so, wie es zunächst scheint. Karla Schmidt spricht typische SF-Themen an und widmet auch der wissenschaftlichen Untermauerung der geschilderten Phänomene den nötigen Raum. Selbst die Bewegung von Erde und Sonnensystem im All wird hinreichend berücksichtigt. Das alles verpackt die Autorin in eine spannende, stimmungsvolle Story, die getragen wird von der Protagonistin Malin – eine Figur, die dem Leser so nahegebracht wird, dass man mit ihr mitleidet und mitfiebert. Innen- und Außenwelt werden kunstvoll verwoben in einer Geschichte, in der sich erst beim zweiten Lesen offenbart, wie subtil die Informationen versteckt sind. Der Leser erhält die Mosaiksteinchen aus unterschiedlichen Quellen – Dialoge, Medien, Beschreibungen, Rückblenden-, ohne dass die Vorwärtsbewegung der Handlung darunter leidet. Die überraschende Auflösung verknüpft die Vielzahl ausgelegter Fäden und bewirkt eine Änderung Malins. Und das alles komprimiert auf 20 Buchseiten – manchem Autor hätten die Ideen locker für einen oder mehrere Romane gereicht!

Science-Fiction-Literatur ist in erster Linie Literatur und muss sich mit den üblichen Maßstäben für Literatur messen lassen. Erst in zweiter Linie bedient sie Genre-Konventionen. Karla Schmidts Story »Weg mit Stella Maris« schafft beides in herausragender Weise. Deshalb zeichnet das Preiskomitee des »Deutschen Science Fiction Preises« dieses Werk als »Beste Kurzgeschichte 2009« aus.

Für das Preiskomitee
Dr. Ralf Bodemann