Laudatio 2015 Beste deutschsprachige Kurzgeschichte

»Knox« von Eva Strasser
erschienen in: »Tiefraumphasen« von André Skora [Hrsg.], Armin Rößler [Hrsg.], Frank Hebben [Hrsg.], Begedia Verlag, ISBN-13 978-3-95777-006-6

Eva Strasser beschreibt in ihrer Kurzgeschichte »Knox« das Leben eines jungen Mannes, der mit einer Behinderung in eine nicht mehr menschenwürdige Umgebung hineingeboren wird. Er möchte nützlich sein und produktiv, aber die Gesellschaft läßt ihn nicht. Auch seine Eltern halten das Leben auf der verdreckten Erde nicht mehr aus und möchten auswandern. Doch weit kommen sie nicht. Auf einer Raumstation landen sie in einer Art Auffanglager und haben keine Chance, das gelobte Land zu erreichen. Denn nur die Reichen können sich eine Fahrkarte bis zur Endstation im Paradies leisten. Der einzelne Mensch wird von der Gesellschaft rein nach seinem Nutzen bewertet. Hilfe gibt es nur, wenn sie sich für den Helfer selbst auszahlen könnte. Selbstsüchtig und eigennützig gehen die Menschen durch ihr armseliges Dasein und bemerken nicht, dass dieses Leben schon lange nichts Lebenswertes mehr hat.

Der titelgebende Protagonist Knox möchte so nicht leben. Er hat Pläne und Hoffnungen. Er strengt sich an und findet Arbeit. Er glaubt an sich und daran, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann. Selbst als seine Eltern sich aufgeben, macht er weiter und nimmt schließlich Rache an allen, die ihm übel mitgespielt haben.

Michael K. Iwoleit beschäftigt sich im Vorwort zu der Anthologie, in der diese Kurzgeschichte enthalten ist, mit dem »Cyberpunk«, jener Stilrichtung der modernen Science-Fiction, die seit Gibsons »Neuromancer« die Leser polarisiert hat, heute aber immer noch als eigene Spielart aktueller denn je ist. Bekannt ist die Ästhetik des Cyberpunk aus Filmen wie »Blade Runner« oder »Matrix«.

Doch »Knox« hat nicht nur Anleihen an die meist düstere Welt des »Cyberpunk«, sondern ist Science-Fiction und das in einer sehr hohen Qualität. Die Story ist in einer einfachen Sprache, passend zur Behinderung der Hauptperson, geschrieben. Die nicht linear erzählte Geschichte weiß durch die Charakterisierung des Protagonisten zu gefallen. Der Leser leidet mit Knox, wird aber durch dessen Kraft und Glauben an sich und das Gute selbst stärker, denn Knox zeigt, dass nicht nur Supermänner Helden sein können. Knox ist mit seiner Einschränkung menschlicher als die nicht behinderten Menschen.

Die Situation der Erdbewohner zeigt deutliche Parallelen zur aktuellen Flüchtlingssituation. Die Lage im Heimatland ist so schlecht, dass sich die Menschen – trotz Gefahr für Leib und Leben – in eine ungewisse Zukunft aufmachen und die Erde verlassen wollen, um sich und vor allen den Kindern ein besseres Leben zu gewährleisten. Die meisten scheitern, hier in der Geschichte wie auch in der heutigen Realität.

Mit der Story »Knox« wird der Leser entdecken, dass es gute SF in Deutschland gibt und dass gerade die Kurzgeschichte einen hohen Stellenwert hat und als eigenständige Literaturgattung dieses Genres bestehen kann. Kurzgeschichten sind keine kurzen Romane, sondern gehorchen anderen Gesetzen, und diese hat Eva Strasser sehr gut im Griff.

Aus diesen Gründen zeichnet das Komitee »Knox« mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 2015 als beste Kurzgeschichte aus.

Ralf Boldt
– für das Preiskomitee –
im Juni 2015