Laudatio 2010 Bester deutschsprachiger Roman

    VILM (Teil 1: Der Regenplanet, Teil 2: Die Eingeborenen) von Karsten Kruschel
    Wurdack Verlag

Vom einst acht Kilometer durchmessenden Sternenkreuzer »Vilm van der Oosterbrijk« zeugt nur noch ein Feld aus Trümmern. Ehemals aseptische, mit Hochtechnologie ausgestattete Kabinen sind schutzlos einer Pflanzenwelt ausgeliefert, die unter einem fast unterbrechungslos fallenden Regen mit Ranken und Wurzeln beginnt, das vom Absturz durchwühlte Terrain zurückzuerobern. Die Tierwelt zeigt sich nicht weniger aggressiv in ihren Aasfressern, die sich mit ihrer Beute sekundenschnell in den schlammigen Untergrund wühlen.

Die wenigen Überlebenden der Besatzung und zivilen Kolonisten, die mit Ziel auf eine wesentlich lebensfreundlichere Welt aufgebrochen waren, müssen zunächst um ihre nackte Existenz kämpfen und die spärlichen Güter verteilen, die sie unter Lebensgefahr aus dem Wrack herausholen können. Einige geben sich der Hoffnung hin, mit Hilfe eines unterlichtschnellen Funkgeräts ein zufällig vorbeifliegendes Raumschiff herbeirufen zu können, andere träumen davon, eine der zerstörten Hyperfunkanlagen wieder instand zu setzen und den über tausend Lichtjahre entfernten nächsten Außenposten der Zivilisation zu erreichen. Die Mehrheit hat sich jedoch damit abgefunden, den Rest des Lebens auf dieser »Vilm« getauften ungastlichen Welt verbringen zu müssen, ohne Aussicht auf Rettung.

Karsten Kruschel verwendet in seinem Doppelroman »VILM – der Regenplanet« und »VILM – die Eingeborenen« die Technik von mehr oder weniger zusammenhängenden Erzählungen, um das Schicksal von Einzelpersonen mit galaxisweiten Intrigen zu verbinden. Der Leser nimmt Teil am Schicksal der einzigen Überlebenden aus der Kommandoebene, der die Schuld am Absturz aufgeladen wird, am harten Leben der Kolonisten, aber auch an den Entdeckungsreisen zu den Wundern einer unerforschten Welt und nicht zuletzt am Heranwachsen einer Generation, die keine andere Heimat als Vilm kennt, mit den pflanzlichen Drogen des Planeten experimentiert und eine Verbindung mit einer telepathisch begabten Tierart eingeht. Dass der Absturz des Raumkreuzers nicht auf Zufall beruhte, wird früh angedeutet, und so überrascht es nicht, dass sich die Bevölkerung Vilms eines Tages im Konflikt mit der galaktischen Politik wiederfindet.

Das Buch ist eine Space Opera, die sich um das Schicksal einfacher Leute kümmert, ein Kolonistenroman, der in lichtjahreweiten Entfernungen denkt, eine Geschichte über Expeditionen zu den Wundern eines regenverhangenen Planeten. Alle Tricktechnik, die das heutige Kino bieten kann, hat es schwer, gegen einen Schriftsteller zu bestehen, dem es mit seiner Sprache gelingt, vor dem geistigen Auge seiner Leser eine dreidimensionale Welt aufleuchten zu lassen, mit Bewohnern, die einen nicht gleichgültig lassen. Dieser »Sense of Wonder«, der die Science Fiction seit ihren Anfangstagen begleitet, hat das DSFP-Komitee davon überzeugt, diesem Werk den »Deutschen Science Fiction Preis 2010« für den besten deutschsprachigen Roman zu verleihen.

Für das Komitee zur Vergabe des Deutschen Science-Fiction-Preises
Thomas Recktenwald