Laudatio 1988 Beste deutschsprachige Kurzgeschichte

Ernst Petz:
Das liederlich-machend Liedermacher-Leben

Wie konnte sich die Menschheit – praktisch durch Jahrhunderte! – freiwillig „Melodien“ und „Rhythmen“ aussetzen, sich freiwillig dem vokalen und instrumentalen Erzeugen von Geräuschen, Getöse und nach sogenannten „Regeln“ in gleichsam gesetzmäßigen Zusammenhang gebrachten Krach hingeben?

Am 23. August des Jahres 2075 hält Professor Jean-Philip D’Arnoncourt einen Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Der Lärm in der Menschheitsgeschichte – Wahn und Krawall“, wobei er selbstverständlich auf Tonbeispiele verzichtet. Er beschäftigt sich darin mit den Liedermachern des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere vergleicht er Richard Wagner mit seinen Kollegen Pete Seeger, Konstantin Wecker, Roy Black, Paul McCartney usw.

D’Arnoncourt stellt eine Reihe von Werken gegenüber: z.B. „Ausgerechnet der Heller“ und „Kisses Sweeter Than Wine“ (Seeger), „Lohengrin“ und „Sgt. Pepper“ (Beatles), „Nie sollst du mich befragen“ und „Geh Oide schau mi net so deppert an“ (trad.), „Meistersinger“ und „Swinging Safari“ (Kaempfert). Dabei kommt er zu überraschenden Ergebnissen.

Die durchschnittliche Qualität der deutschen Kurzgeschichten war 1987 nicht besonders; das läßt sich bereits aus der insgesamt sehr sparsamen Vergabe von Punkten entnehmen. Nach dem Ausscheiden von Karl Michael Armers Story „Die Endlösung der Arbeitslosenfrage“ wurde eine Kurzgeschichte Preisträger, die die Jury in zwei Teile spaltete: Für „Das liederlich-machend Liedermacher-Leben“ gab es drei gute bis sehr gute und drei schlechte Bewertungen.

Petz arbeitet mit Verfremdung. Betrachtet man heute übliche Einteilungen der Musik (und sei es nur die Unterscheidung U-Musik/E-Musik, wie wenig sinnvoll sie auch sein mag), so stellt allein schon die Einordnung von Richard Wagner als „Liedermacher“ einen fruchtbaren Boden für Satire dar. Darauf aufbauend versucht der Autor, eine Vielzahl von witzigen bis sarkastischen Bemerkungen und Einsichten an den Leser weiterzugeben.

Während der eine Teil der Jury die Kurzgeschichte von Petz als gelungen und vergnüglich, die haarsträubenden Verknüpfungen als zum Schmunzeln anregend empfand, bezeichnete der andere Teil die Ausarbeitung als plump – eine gute Idee sei durch grobe Witze auf Stammtischniveau kaputtgeschrieben worden.

Willmar Plewka
– für das Literaturpreiskomitee –